Spermidin • Wirkung • Dosierung und Studien

Spermidin soll laut aktueller Studien den Selbstreinigungsmechanismus des Körpers ankurbeln und damit das Leben verlängern und Demenz vorbeugen. Dieser Autophagie genannte Prozess wird erst seit wenigen Jahren erforscht, 2016 erhielt der Japaner Yoshinori Ohsumi dafür den Medizin-Nobelpreis.

In den letzten Jahren gab es zahlreiche Studien zu Spermidin und den vermuteten Auswirkungen auf die Autophagie und verschiedene damit in Zusammenhang stehenden Erkrankungen. Es soll das Potential haben die Alterung des Körpers zu verlangsamen, Alzheimer, Demenz und Parkinson vorzubeugen. Aber auch im Diabetes-Management und der Herzgesundheit zeigte Spermidin sehr vielversprechende Resultate.
Diese Wirkung beruht auf der Anregung der Autophagie, einem Selbstreinigungsprozess des Körpers, der Ablagerungen und krankhafte Zellbestandteile zerlegt und wiederverwendet. Ist die Autophagie gestört oder mit zunehmendem Alter verlangsamt, kann dies zu verschiedenen, besonders im Hohen Alter typischen, Erkrankungen führen.

Viele vielversprechende Studien zeigen zwar eine zellverjüngende und vorbeugende Wirkung, wurden aber größtenteils nur In-Vitro oder an Versuchstieren durchgeführt. Doch wie wirkt Spermidin beim Menschen? Und zeigt es wirklich eine lebensverlängernde Wirkung?

Was ist Spermidin?

Spermidin ist ein natürlicher Bestandteil jeder Körperzelle und kommt dort in unterschiedlichen Konzentrationen vor. Dies nicht nur beim Menschen, sondern allen lebenden Organismen. Erstmals entdeckt wurde es in den 1970er Jahren in männlicher Samenflüssigkeit, was zu diesem etwas ungewöhnlichen Namen führte. Ein beschleunigter Stoffwechsel, durch Sport etwa, trägt zu einer erhöhten Konzentration von Spermidin bei. Im Alter nimmt diese jedoch immer weiter ab, was auch die Wirkung Autophagie und die damit einhergehende Zellreinigung beeinträchtigt.
Chemisch betrachtet ist Spermidin ein sogenanntes Polyamin, ein im Zellstoffwechsel entstehendes Molekül, dass Aminosäuren ähnelt. Spermidin wird im Darm durch die Darmbakterien des Mikrobioms gebildet, kann aber auch durch die Nahrung aufgenommen werden.

Im jungen Alter ist die Konzentration von Spermidin in den Körperzellen noch hoch, nimmt allerdings mit zunehmendem Lebensalter wieder stark ab. Verschiedene Forschergruppen haben untersucht, warum die Konzentration von Spermidin im Alter abnimmt und welchen Effekt dies auf den Organismus hat. Die genaue physiologische Funktion ist bisher allerdings noch nicht bekannt. Studien zeigen jedoch, dass die Gabe von Spermidin bei verschiedenen Versuchstieren, wie Mäusen, Würmern und Fliegen die Lebenszeit verlängern kann. Auch durch Studien belegt sind Hinweise, dass Spermidin beim Menschen Körper und Gehirn vor Alterung schützen könnte.

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Wirkung von Spermidin

Die lebensverlängernde Wirkung von Spermidin scheint direkt mit der Anregung der Autophagie in Zusammenhang zu stehen. Dieser Zellreinigungsprozess wird unter anderem auch beim Fasten aktiviert. Viele Forschergruppen weltweit haben sich bereits mit der Wirkung von Spermidin beschäftigt. Eine lebensverlängernde Wirkung in Zusammenhang mit einer hohen Konzentration von Spermidin bei verschiedenen Spezies ist eine der wichtigsten Erkenntnisse dieser Studien. Gibt man Spermidin als Ergänzung zum Futter bei Fruchtfliegen, Mäusen oder Fadenwürmern, leben diese Tiere länger und sind gesünder. Federführend bei der Erforschung der Wirkung von Spermidin ist der Grazer Biochemiker Prof. Dr. Frank Madeo, der mit seinem Team verschiedene Untersuchungen durchführte.

Quelle:
Spermidine in health and disease (Link)

Spermidin und die Autophagie

Die Autophagie ist ein natürlicher Prozess in den Zellen, bei dem nicht benötigte oder krankhafte Bestandteile der Zelle verwertet werden. Eine Hülle von Proteinen und Lipiden bildet sich dabei um Zellbestandteile, zum Beispiel defekte Mitochondrien, Viren oder anderen „Zellmüll“. Nach dieser Verkapselung zerlegen Enzyme diese Zellbestandteile in chemische Bausteine, die wiederum zur Bildung neuer Bausteine der Zelle genutzt werden können. Dies bringt direkt zwei Vorteile mit sich: Zelltrümmer werden abgebaut und die Zellregeneration wird unterstützt. Dieser Prozess ist so elementar für die Funktion und das Immunsystem des Körpers, dass der Japaner Yoshinori Ohsumi für dessen bahnbrechende Erforschung den Medizin-Nobelpreis erhielt.

Die vom griechischen auto (selbst) und phagein (essen) abgeleitete Autophagie bedeutet wörtlich also „sich selbst essen“ und beschreibt den bereits den in den 1960er Jahren Effekt ziemlich genau. Die Forscher beobachteten, dass Zellen dazu in der Lage sind, nicht mehr benötigte Bestandteile wie Moleküle oder Zellorganellen abzubauen und wiederzuverwenden. Dies funktioniert auch bei Eindringlingen in den Zellen, wie Bakterien, Viren oder Fremdproteinen und stellt eine wichtige Funktion des Immunsystems dar.

Autophagie und das Fasten

Angeregt werden kann die Autophagie, das ist bereits seit langer Zeit bekannt, durch verringerte Nahrungszufuhr und Fasten. In Studien wurde nachgewiesen, dass Menschen die fasten auch länger leben. Das ist zu einem großen Teil auf die gesteigerte Autophagie zurückzuführen, denn evolutionär ist der Mensch auch auf Zeiten geringer Kalorienzufuhr und Hunger vorbereitet. Der Körper schaltet in diesen Phasen auf eine Art „Notfallmodus“ und beginnt nicht benötigte Zellbestandteile abzubauen und wiederzuverwerten. Besonders gut funktioniert das, den Studien nach beim Intervallfasten (intermittierendes Fasten) und beim Scheinfasten.

Was ist der Unterschied zwischen Intervallfasten und Scheinfasten?

Beim Intervallfasten verzichtet man für einen bestimmten Zeitraum, völlig auf Nahrung. Üblich sind 16 Stunden ohne Nahrungsaufnahme am Tag. Intervallfasten, auch intermittierendes Fasten genannt, ist eine relativ praktische und einfach in den Alltag einzubauende Möglichkeit die Autophagie zu beschleunigen. Eine Alternative ist das 24-Stunden-Intervallfasten, bei dem nur jeden zweiten Tag gegessen wird. Beim Scheinfasten wird die Kalorienaufnahme für 2-12 Tage sehr stark reduziert. Es ähnelt also eher einer strikten Diät als einem kompletten Nahrungsverzicht. In der Regel nimmt man am ersten Tag noch etwa 1100 kcal zu sich, an den weiteren Tagen nur noch 750 bis 800 kcal. Diese Kalorien sollten aus Gemüse mit komplexen Kohlenhydraten (Brokkoli, Karotten, Kürbis, Pilze) und Lebensmitteln mit gesunden Fetten (Walnüsse, Mandeln, Oliven) bestehen. Als Getränke sollte nur Wasser oder ungesüßter Tee zu sich genommen werden.

Wie man langfristig abnehmen kann, zeigen wir Euch in dem Beitrag „Wie man wirklich langfristig abnehmen kann„.

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Spermidin wirkt ähnlich wie Fasten

Die Wirkung von Spermidin wird in Studien oft als „caloric restriction mimetic“ bezeichnet. So werden Substanzen genannt, die die Auswirkungen einer Reduzierung der Nahrungszufuhr nachahmen. Auf den Körper und besonders den Prozess der Autophagie hat Spermidin also einen ähnlich positiven Effekt wie Fasten. Eine spermidinreiche Ernährung kann dabei unterstützen, die Zellen gesund und leistungsstark zu halten und die Zellregeneration zu fördern.

Welche gesundheitlichen Vorteile hat Spermidin?

Der zellverjüngende „Anti-Aging-Effekt“ von Spermidin beruht vermutlich auf der Aktivierung der Autophagie, die sich positiv auf die Zellgesundheit auswirkt. Dadurch kann Spermidin nützlich sein zur:

  • Steigerung und Gesunderhaltung der Herzfunktion
  • Verbesserung der Zellregeneration und des Stoffwechsels
  • Schutz vor neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer, Parkinson oder Demenz

Neurodegenerative Erkrankungen

„Bisherige Daten lassen vermuten, dass sogenannte Polyamine, insbesondere das Spermidin, sich positiv auf die Gehirnfunktion und geistige Fähigkeiten auswirken“

Menschen mit neurodegenerativen Erkrankungen können von den positiven Auswirkungen Spermidin profitieren. Bei Demenz und Parkinson beispielsweise gibt es über die Zeit immer mehr Ablagerungen im Gehirn. Diese bestehen überwiegend aus unlöslichen Proteinen, die zu Zellschäden und schließlich dem Zelltod führen können. Die Autophagie wirkt diesem Prozess entgegen, denn sie sorgt für einen Abbau der schädlichen Ablagerungen, und kann so einen positiven Effekt auf die Regeneration von Nervenzellen führen. Eine Studie aus dem Jahr 2018 an Ratten legen nahe, dass Spermidin eine neuroprotektive Wirkung bei Parkinson hat. Eine weitere Studie zum Effekt von Spermidin auf subjektiv kognitive Störungen zeigte, dass sich die Gedächtnisleistung bereits nach drei Monaten verbesserte. Weitere Studien an einer größeren Zahl von Probanden werden derzeit durchgeführt.

Quellen:
Wirth M, Benson G, Schwarz C et al. The effect of spermidine on memory perfomance in older adults at risk for dementia: A randomized controlled trial. Cortex 2018; 109: 181−188. Link
Sharma S, Kumar P, Deshmukh R. Neuroprotective potential of spermidine against rotenone induced Parkinson’s disease in rats. Neurochem Int 2018; 116: 104−111. Link

Verbesserung der Herzfunktion

Zunehmendes Alter führt bei vielen Menschen auch zu einem erhöhten Risiko für eine Herz-Kreislauf-Erkrankung. Ein erhöhter Blutdruck und eine Verminderung der Herzelastizität sind hierfür die häufigsten Ursachen. Eine Studie von Prof. Dr. Frank Madeo und seinem Team der Universität Graz hat in einer Studie an Mäusen dass Spermidin die Herzelastizität erhöht. Zusätzlich zeigte sich, dass Spermidin den Blutdruck senkt und somit das Herz zusätzlich entlastet. Ein ähnlich positiver Effekt auf das Herz-Kreislaufsystem ist auch beim Menschen zu vermuten.

Quelle:
Eisenberg T, Abdellatif M, Schroeder S. Cardioprotection and lifespan extension by the natural polyamine spermidine. Nat Med 2016; 22(12): 1428−1438. Link

Verbesserung des Immunsystems

In einer aktuellen Studie, die unter der Teilnahme von Prof. Dr. Drosten an der Charité Berlin durchgeführt wurde, ist die Wirkung von Spermidin auf das Immunsystem untersucht worden. Mit besonderem Augenmerk auf die Wirkung von Spermidin auf Corona (Covid-19). Bei Versuchen an Zellkulturen zeigte sich, dass mit Corona infizierte Zellen unter der Gabe von Spermidin eine um 85% verringerte Vermehrung des Virus aufwiesen. Um zu überprüfen, ob auch eine vorbeugende Wirkung zu zur Vermeidung einer Infizierung mit Corona gegeben ist, wurden gesunde Zellen mit Spermidin behandelt und dann SARS-CoV-2 (COVID-19) ausgesetzt. Dabei zeigte sich, dass sich die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung senken konnte.

Spermidin scheint die Zellen vor einem Befall durch Coronaviren zu schützen und kann sogar nach einer Ansteckung die Ausbreitung des Virus im Körper hemmen.

Corona wirkt nach einer Ansteckung stark auf den Prozess der Autophagie und blockiert die Zellreinigung und Zellerneuerung. Darüber hinaus senkt das Virus noch die körpereigene Produktion von Spermidin. Dadurch kann sich Corona sehr schnell im gesamten Körper ausbreiten.
Die Autophagie nimmt mit Ihrer Zellreinigung eine wichtige Funktion im Immunsystem des Körpers ein, denn die so genannten „B-Zellen“ produzieren bei Kontakt mit einem Virus die lebenswichtigen Antikörper. Ist die Autophagie gestört, kann dies die Immunantwort verringern und so die Ausbreitung eines Virus im Körper unter Umständen nicht mehr aufhalten.

Quellen:
Analysis of SARS-CoV-2-controlled autophagy reveals spermidine, MK-2206, and niclosamide as putative antiviral therapeutics (Link | deutsche Übersetzung)
Autophagy is a critical regulator of memory CD8+ T cell formation (Link)

Unterstützung des Diabetes-Managements

Spermidin kann dabei helfen, die bei Typ2-Diabetes oft stark beanspruchten Bauchspeicheldrüsenzellen zu schützen. Dabei kann es auf zwei Arten helfen. Zum einen durch die Verstärkung der Autophagie und darüber hinaus durch die Reduktion von ER-Stress, der den Zelltode auslösen kann.
Tirupathi Pichiah, Leiter der Studie dazu:
Mit zunehmendem ER-Stress beginnen Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse, sich einer Apoptose (Zelltod) zu unterziehen, was zu einem Rückgang der Beta-Zellpopulation der Bauchspeicheldrüse führt. Der ER-Stress entsteht durch die entfaltete Proteinreaktion. In letzter Zeit ist Spermidin[bekannt geworden],  die Langlebigkeit bei den meisten Eukaryoten zu erhöhen…. durch Induktion des Autophagiewegs.
Daher kann Spermidin ein Kandidat für die Behandlung von Typ-2-Diabetes sein. Autophagie-Gene werden durch mTOR abhängigen oder unabhängigen Weg über AMP-aktivierte Proteinkinase (AMPK) reguliert. Daher wird entweder die Hemmung von mTOR oder die Aktivierung von AMPK durch Spermidin zwei entscheidende Rollen spielen: erstens die Aktivierung der Autophagie und zweitens die Reduzierung von ER-Stress, der den Beta-Zelltod durch Apoptose reduziert.
So kann[Spermidin] ein neuer therapeutischer Kandidat in der Behandlung der Insulinresistenz bei Typ-2-Diabetes und der Erhaltung der Beta-Zellmasse der Bauchspeicheldrüse sein.

Quelle:
Spermidine may decrease ER stress in pancreatic beta cells and may reduce apoptosis via activating AMPK dependent autophagy pathway (Link)

Krebsprävention

Auch in der Krebsprävention spielen das Immunsystem und damit auch die Autophagie eine wichtige Rolle. Denn nur wenn veränderte Zellen erkannt werden können, kann das Immunsystem diese auch bekämpfen. Eine Studie mit Mäusen an der University of Texas hat gezeigt, dass die Gabe von Spermidin sowohl die Lebenserwartung der Versuchstiere erhöhte, als auch das Risiko senkte an an Leberkrebs oder einer Leberfibrose zu erkranken. Gab man den Tieren bereits von Geburt an Spermidin, erhöhte sich die Lebenserwartung durchschnittlich um 25 Prozent, setze die Supplementierung erst später ein, erhöhte sich die Lebenserwartung immerhin noch um durchschnittlich 10 Prozent.

Auch bei Lungenkrebs scheint Spermidin wirksam zu sein. Die Inhalation eines Aerosolgemisches von Spermidin, Hydroxycitrat und Liponsäure konnte das Auftreten von Lungenkrebs stark inhibitieren. Die Forscher vermuten, dass die Anregung des Immunsystems die Immunantwort des Körpers steigert und so Krebszellen früher erkennbar macht.

Quellen:
Autophagy is a critical regulator of memory CD8+ T cell formation (Link)
Spermidine prolongs lifespan and prevents liver fibrosis and hepatocellular carcinoma by activating MAP1S-mediated autophagy (Link)

Wo ist Spermidin enthalten?

Den mit Abstand höchsten Gehalt an Spermidin enthalten Weizenkeime, aber auch in getrockneten Sojabohnen und gereiftem Käse ist viel Spermidin enthalten. Bei den Gemüsesorten enthalten Pilze, Brokkoli, Blumenkohl und Erbsen ausreichend Spermidin. Wer es eher süß mag, kann auch zur Mango greifen, die enthält zwar nicht ganz so viel des gesunden Polyamins wie Weizenkeime, schmeckt dafür aber wesentlich besser. Hier findet ihr die komplette Liste der Lebensmittel mit dem höchsten Spermidingehalt.

LEBENSMITTEL SPERMIDIN-GEHALT (MG/100G) LEBENSMITTEL  SPERMIDIN-GEHALT (MG/100G)
 Weizenkeime24,3  Erbsen4,6 
 getrocknete Sojabohnen20,7 Mango 3,0 
 Cheddar Käse, mindestens 1 Jahr gereift19,9   Kichererbsen2,9 
 Pilze8,9   Blumenkohl (gekocht) 2,5
 Reiskleie 5,0  Brokkoli (gekocht) 2,5
Hühnerleber  4,8   

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